Besondere Kunstwerke, an denen alle miteinander arbeiten

Kreative Entfaltung und mehr Sichtbarkeit nach außen

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Jeden Dienstagabend, wenn die letzte Schulstunde längst vorbei und die meisten Schüler*innen und Lehrkräfte die Raboisenschule verlassen haben, dringt aus dem Werkraum der Schule fröhliches Stimmengewirr. Manchmal ist das Kreischen einer Stichsäge zu hören, ebenso wie die Geräusche, die beim Anspitzen von Buntstiften und beim Bearbeiten von Holz mit Schmirgelpapier entstehen. In der Bezalel-Kunstwerkstatt können sich Schüler*innen der Raboisenschule, aber auch Ehemalige und Erwachsene mit und ohne geistige Beeinträchtigung künstlerisch betätigen.

Unterstützt werden die Kunstschaffenden seit 2017 von der Elmshorner Zeichnerin, Illustratorin und freischaffenden Künstlerin Susanne Berger (58) sowie Thomas Kindermann (60), Heilpädagoge und Lehrer an der Raboisenschule. Gegründet wurde die vom Schulverein geförderte Kunstwerkstatt bereits 1996 von dem Künstlerehepaar Hipp aus Uetersen, das sich nach über 20 Jahren kreativer Arbeit zur Ruhe setzen wollte. „Ich habe die Aufgabe hier übernommen, weil ich die Bilder so toll finde, die hier entstehen“, erzählt Susanne, die unter anderem auch an der Dittchenbühne Malkurse gibt und für ihr künstlerisches Schaffen 2022 mit dem Kulturpreis der Stadt Elmshorn ausgezeichnet wurde.

Tatsächlich hat die Gruppe in den Jahrzehnten ihres Bestehens einen ganz eigenen, unverkennbaren gemeinsamen Stil entwickelt. Als Vorlage für die Kunstwerke dienen zweidimensionale Bilder, mit dicken Buntstiften auf Papier gemalt. Es sind keine zart schraffierten Skizzen, sondern kräftig bunte und flächige Bilder. Diese werden auf Holz übertragen und in unzählige Puzzleteile zerlegt. Im Anschluss daran wird jedes der Holzelemente einzeln geschliffen, mit Acrylfarben bemalt und dann auf einer etwas dickeren Furnierplatte neu und zum Teil plastisch erhaben wieder zum Motiv der Vorlage zusammengesetzt.

Je nach persönlichen Vorlieben und Fähigkeiten gibt es in diesem gemeinsamen Schaffensprozess für jede und jeden etwas zu tun. „Manche unserer Mitglieder zeichnen und malen am liebsten“, berichtet Susanne Berger. Andere haben eine besonders ruhige Hand an der Stichsäge, wieder andere puzzeln bevorzugt die vielen, zum Teil sehr filigran gearbeiteten Holzteile zusammen. „Die Teilnehmer*innen hier sind alle sehr unterschiedlich. Es ist toll zu sehen, wenn wir bei ihnen in der Werkstatt die Lust am Malen und an der Kunst wecken können. Manche malen mittlerweile auch zu Hause gern“, erzählt sie weiter. Ihrem Kollegen Thomas Kindermann, der die meisten von ihnen durch ihre gesamte Schullaufbahn hindurch begleitet, macht die Arbeit in der Kunstwerkstatt ebenfalls viel Freude: „Mich reizt die eigene Sichtweise der Jugendlichen und Erwachsenen, ihre plakative Darstellung.“

Bei der Themenfindung sind die Mitglieder der Kunstwerkstatt frei: „Ich verteile hier keine Aufgaben, sondern beobachte, wie alle selbstständig etwas erarbeiten“, betont die Künstlerin. Doch manchmal gibt sie Impulse, an denen sich die Kunstschaffenden orientieren können. Mal ist es eine Geschichte, mal ein Gedicht, Musik oder ein Bild. So entstanden z. B. Werke zu den Themen ‚Fabeln‘ oder ‚Engel‘ – letztere werden als nächstes in einer Ausstellung in der Stadtbücherei zu sehen sein. Danach ist eine weitere Ausstellung im Torhaus geplant. Aufgrund der Corona-Pandemie ist die letzte große öffentliche Präsentation der Bezalel-Kunstwerke schon ein paar Jahre her. „Doch bei unserer letzten Ausstellung 2019 beim Kunstverein Elmshorn war die Resonanz riesig“, erinnert sie sich, „am Ende waren fast alle Bilder verkauft.“ Wer sich gern eines der Bilder ins eigene Wohnzimmer hängen möchte, kann es gegen einen festen Spendenbetrag erwerben.

Einzelne Werke hängen auch in verschiedenen öffentlichen Gebäuden in Elmshorn, etwa im Foyer des Klinikums, im Kreistagsgebäude, Im Jobcenter und in der Polizeiwache. Außerdem nimmt die Kunstwerkstatt regelmäßig an Wettbewerben teil. Im vergangenen Jahr etwa belegte die Bezalel-Kunstwerkstatt den dritten Platz beim Kulturpreis der Vielfalt ‚Special Art‘, der von der Stiftung Landdrostei und der Sparkasse Südholstein gestiftet wurde. Die Künstlerin Britta Eggers (44, Gründungsmitglied) erhielt bei dieser besonderen Auszeichnung den zweiten Platz. Auszeichnungen wie diese haben für die Bezalel-Kunstschaffenden eine ganz besondere Bedeutung, wie Thomas Kindermann betont: „Durch ihre Kunst werden sie für die Gesellschaft sichtbar und können am öffentlichen Leben teilhaben. Es ist toll, den Stolz in den Gesichtern zu sehen, wenn bei so einer Auszeichnung die Laudatio gehalten wird.“

Ebenso wie Susanne Berger würde sich der Heilpädagoge wünschen, dass ab und an auch einmal neue Gesichter in der Kunstwerkstatt auftauchen. Denn hier kann jede und jeder mitmachen, der selbst kreativ werden oder andere bei ihren Arbeiten unterstützen möchte – ob nun Schüler*innen anderer Bildungseinrichtungen oder interessierte Erwachsene. „Wir sind offen für neugierige Menschen, die einfach mal reinschauen und gucken möchten, was wir hier machen“, sagt Thomas, „übers gemeinsame Malen kommt man ganz unkompliziert in Kontakt miteinander.“

Denn es ist auch das gesellige Miteinander, das die Bezalel-Kunstwerkstatt so besonders macht. „Leider haben viele Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen außerhalb ihrer Schule oder Arbeitsstelle kaum soziale Kontakte“, bedauert Thomas  Kindermann. Umso wichtiger ist die Kunstwerkstatt auch als geselliger Treffpunkt für ihre Mitglieder. Und zwar nicht nur für die Kunstschaffenden mit geistigen Beeinträchtigungen, sondern auch für die Leiterin und den Leiter: „Es wird nie langweilig hier, wir fühlen uns wohl miteinander und haben immer viel Spaß zusammen“, meint Susanne Berger.

http://raboisenschule.de