„Wir brauchen soziales Leben jenseits der Verinselung“

Begeisterung für Kunst im öffentlichen Raum wecken

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Jedes neue Kunstwerk hat seinen Ausgangspunkt in einer Zeichnung oder einem Aquarell, die das Motiv mit wenigen Linien oder Pinselstrichen einfangen. Daraus entwickelt Anders Petersen mit Acrylfarben abstrakte Gemälde auf Papier. Wenn der Elmshorner Künstler im nächsten Schritt die zugrundeliegenden Farben und Formen noch einmal weiterbearbeitet, entstehen Bilder aus Acryl auf Holz, auf die er außerdem gebürstete Zinkplatten aufbringt. Sie reduzieren das Thema mit wenigen Linien oder Farbflächen auf seine Essenz. „Das eigentliche Motiv ist dann nicht mehr erkennbar. Doch gute Kunst spricht Menschen auf die eine oder andere Weise an, auch wenn diese den Hintergrund des Kunstwerks nicht kennen“, erzählt Anders.

Künstlerische Inspiration findet der 63-Jährige in persönlichen Erlebnissen oder Musik ebenso wie in Themen, die sein Interesse wecken: „Dazu zählt zum Beispiel das Thema ‚Expeditionen‘. Es fasziniert mich, wie Menschen in unwirtliche Regionen vordringen und überleben“, erläutert er. In der Skizzenreihe ‚Neunzig Grad Süd’ hat er beispielsweise fiktive Eindrücke von der Südpolexpedition Roald Amundsens auf Papier gebannt, als sei er bei der Forschungsreise zu Beginn des 20. Jahrhunderts selbst als Illustrator dabei gewesen.

Wer sich für die Geschichten hinter den abstrakten Werken interessiert, kann den Künstler in seinem Atelier besuchen. Es befindet sich in seinem Elternhaus, einem alten Backsteinbauwerk unter Reet in der Klostersande. Mehrmals im Jahr lädt er – gemeinsam mit seiner Frau Ingert – Kunstinteressierte dorthin ein, um über seine eigenen oder die Werke befreundeter Künstler*innen zu sprechen, die dort ebenfalls ausstellen. Insbesondere Kunstschaffende aus den Partnerstädten Elmshorns sind dort willkommen. „Meine Frau und ich pflegen ein offenes Haus“, sagt Anders, „wir wollen die Elmshorner Städtepartnerschaften mit künstlerischem Leben füllen. Bildende Kunst braucht ja keine Worte. Man kann sich damit auch verständigen, wenn man nicht dieselbe Sprache spricht.“

Seine Offenheit und Neugier auf andere Kulturen ist auch in seiner Biografie begründet. Denn als Sohn des Künstlers Wilhelm Petersen, der als SS-Kriegsmaler zur Künstlerprominenz des Nationalsozialismus gehörte, wurde sein politisches Bewusstsein früh geweckt: „Ich habe mich seit meiner Jugend damit auseinandersetzen müssen, dass mein Vater ein Nazi, Rassist und Antisemit war – übrigens bis an sein Lebensende.“ Um diesem Erbe zu entfliehen und anderswo unbelastet neu anzufangen, hätte er Elmshorn verlassen können. Doch er entschloss sich zu bleiben, sich offensiv mit seiner Familiengeschichte zu beschäftigen und durch seine vielfältigen Aktivitäten bewusst von seinem Vater abzugrenzen.

Hierzu zählt neben seiner künstlerischen Arbeit auch sein kulturpolitisches Engagement. Anders war von 1997 bis 2017 im Vorstand des Kunstvereins Elmshorn aktiv und wurde 2002 als Erster mit dem neu geschaffenen Kulturpreis der Stadt Elmshorn ausgezeichnet. Er engagiert sich im Kuratorium Denkmalschutz, im Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, im Landeskulturverband Schleswig-Holstein und in der Kunstkommission des Landes, um nur einige seiner vielen Ämter und Aufgaben zu nennen. Er möchte die Wertschätzung für Kunst in der Bevölkerung fördern, organisiert Ausstellungen und kümmert sich um die Interessenvertretung von Künstler*innen: „Da geht es um Themen wie Existenzgründung, soziale Absicherung, Wahrung von Urheberrechten, aber auch Nachlassverwaltung“, berichtet Anders.

Wenn es nach ihm ginge, gäbe es in seiner Heimatstadt deutlich mehr Kunstschaffende: „Ich kenne nur eine Handvoll professionell arbeitende Künstler*innen hier, das ist wenig für eine Stadt von Elmshorn Größe“, meint Anders. Daneben ist es ihm ein besonderes Anliegen, mehr Kunst in den öffentlichen Raum zu integrieren. Als Mitinitiator des Skulpturengartens am Ufer der Krückau setzt er sich dafür ein, dass die Kunst auch beim Elmshorner Stadtumbau nicht vergessen wird. Aktuell gebe es nicht genug Ausstellungsflächen in Elmshorn: „Das Torhaus ist ja recht klein, aber mit einer Kulturetage in den Knecht’schen Hallen könnte sich das ändern.“

Dennoch möchte er sich nicht einreihen in den Chor derer, die notorisch an Elmshorn herumnörgeln: „Elmshorn hat auch im kulturellen Sektor viele Qualitäten“, betont Anders. „Wenn man möchte, kann man in Elmshorn jeden Abend etwas Kulturelles unternehmen.“ Sein Eindruck ist allerdings, dass viele Menschen sich lieber am kulturellen Angebot Hamburgs orientieren. Wer zum Arbeiten in die Hansestadt pendelt, bleibt nach der Arbeit oft gleich dort, um ins Theater zu gehen, Konzerte zu besuchen oder in einer Kneipe zusammenzusitzen. Mit der Bandbreite von Kunst und Kultur in Hamburg kann sich die Mittelstadt Elmshorn natürlich nicht messen.

Gleichzeitig fehlt es Anders in Elmshorn an ‚Apéro-Atmosphäre‘, also einer Kultur des geselligen Zusammenseins vor oder nach Veranstaltungen, Feierlichkeiten oder Alltagsereignissen, wie sie in vielen anderen Nationen gang und gäbe ist. Dafür braucht es offene Plätze in den Quartieren, angenehme Orte, an denen man sich nach der Arbeit zwanglos trifft, mit Nachbarn redet oder spielt. „Wenn ich keine Kultur des Zusammenlebens habe, kann ich Menschen auch nicht für Bilder oder Theater begeistern“, bringt es der Künstler auf den Punkt, „wir brauchen ein soziales Leben jenseits unserer Verinselung.“

www.anders-petersen.de