Große Töpfe voller Suppe für Wohnungslose in Hamburg und Elmshorn

„Ich hatte schon immer eine soziale Ader“

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Alle zwei Wochen fahren die ‚Elmshorner Suppenhühner‘ tagsüber nach Hamburg, bauen an der Reeperbahn Tische auf und verteilen Essen an Wohnungslose. Wenn sie wieder zurück nach Elmshorn kommen, sind die Bedürftigen am hiesigen Bahnhof dran. Bei jeder dieser Aktionen wandern gut und gern 200 bis 300 Liter Erbsensuppe, Chili con Carne oder Gulaschsuppe aus riesigen Töpfen in Portionsschalen aus Pappe. Zwischen 200 und 450 Menschen in Hamburg und noch einmal bis zu 50 in Elmshorn kommen auf diese Weise zu einer warmen Mahlzeit, Hygieneartikeln, frischer Kleidung und etwas Zuwendung.

Herz und die Seele des Vereins ist Martina Kramer-Kahl, die sich selbst das ‚Ober-Suppenhuhn‘ nennt. Mittlerweile arbeiten gut 15 Menschen aktiv bei den Suppenhühnern mit. Sie kaufen ein, nehmen Lebensmittelspenden entgegen, schnippeln Gemüse und kochen. Sie schneiden selbstgebackene Kuchen portionsgerecht zu, sortieren gespendete Kleidung und andere Hilfsgüter, packen alles ins Auto und machen sich auf den Weg nach Hamburg. Dort werden die engagierten Elmshorner*innen von vielen Wohnungslosen bereits sehnsüchtig erwartet.

„Ich hatte schon immer eine soziale Ader“, sagt die 64-Jährige mit einem Lachen. Als Kind brachte Martina Kramer-Kahl kranke Tiere mit nach Hause, um sie aufzupäppeln. Im Erwachsenenalter – sie war bereits Mutter von drei Töchtern – nahm sie Pflegekinder auf, die in ihren Ursprungsfamilien einen schweren Start hatten. Doch es war für sie auch schwer auszuhalten, dass in einer reichen Stadt wie Hamburg so viele Menschen auf der Straße leben. Deren Elend hatte sie schließlich regelmäßig vor Augen. Denn bevor Martina 2007 nach Klein Offenseth-Sparrieshoop zog, lebte sie selbst in der Hansestadt und in Norderstedt. „Wenn ich Wohnungslosen begegnet bin, habe ich ihnen immer etwas zu essen gekauft.“

2015 fasste sie den Entschluss, mehr zu tun. Zusammen mit einer ihrer Töchter und mit einer Freundin kochte sie einen großen Topf Suppe und packte ihn in ihren Bollerwagen. Abends nach Feierabend startete das Trio vor dem Elektromarkt Saturn am Hamburger Hauptbahnhof, zog durch die Innenstadt und verteilte bis in die Nacht hinein das Essen an Menschen ohne festen Wohnsitz. Drei Jahre lang behielten die Suppenhühner das so bei. Dann wurden die medizinischen Fachkräfte des Arztmobils Hamburg auf sie aufmerksam und fragten, ob sie während ihrer mobilen Sprechstunden an der Reeperbahn Essen verteilen würden. Martina kochte Eintopf, backte Kuchen, füllte Thermoskannen mit Kaffee und schloss sich mit ihrem kleinen Hilfstrupp den ehrenamtlichen Medizinprofis an. „Seither verteilen wir dort Essen, wenn auch das Arztmobil da ist und die Leute versorgt.“.

Berührungsängste gegenüber Wohnungslosen sind Martina fremd: „Das sind Menschen wie du und ich. Ich finde es schlimm, dass ihnen so wenig Beachtung geschenkt wird. Schließlich haben sie es sich nicht ausgesucht, dass sie auf der Straße gelandet sind.“ Sie erzählt weiter: „Manchmal geht es ein bisschen rauer zu, es wird auch mal gerangelt und gepöbelt. Man muss sich auf die Leute einlassen können.“ Doch die allermeisten ihrer Schützlinge sind freundlich und dankbar für ihre Hilfe, „in Elmshorn sind sie sogar noch ein bisschen netter als in Hamburg.“

Martina kennt die Lebensgeschichten vieler der Gestrandeten. Etliche haben ihre private Handynummer und dürfen sich auch bei ihr melden, wenn ihr Schlafsack kaputt ist oder mal wieder gewaschen werden müsste. Da ist der Mann, der nie darüber hinweg gekommen ist, dass ihn seine vermeintlich große Liebe verlassen hat – nicht ohne zuvor seine Wohnung und sein Konto leerzuräumen. Er ertränkte seinen Kummer im Alkohol, verlor seinen Job und sein Zuhause. Da ist die psychisch kranke Frau, die genau weiß, dass sie ihr Leben nur mit einem Drogenentzug in den Griff bekommen würde – und der klar ist, dass ihr ebendas möglicherweise nie gelingen wird. Krankheit und Sucht spielen in fast allen der bedrückenden Biographien eine Rolle.

Martina weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell man ins Straucheln geraten kann. Vor 20 Jahren ging die Firma Pleite, die sie mit ihrem damaligen Ehemann gegründet hatte. Der Mann machte sich aus dem Staub, und sie stand auf einmal als alleinerziehende Mutter mit ihrer Tochter vor dem Nichts. Da das Unternehmen auf ihren Namen eingetragen war, musste sie Privatinsolvenz anmelden. „Zum Glück habe ich kurz darauf meinen jetzigen Mann Axel kennen gelernt, mit seiner Hilfe bin ich wieder auf die Füße gekommen“, erinnert sie sich. „Doch nicht jeder hat ein soziales Netz, das einen auffängt, wenn auf einmal alles wegbricht.“

Wohnungslosen zu helfen, ist für sie deshalb eine Herzensangelegenheit. Eigentlich sind die Suppenhühner sogar ein echtes Familienprojekt: Zwei ihrer Töchter und einige ihrer Enkelkinder kommen regelmäßig mit auf die Reeperbahn und verteilen Essen. Auch ihr Mann unterstützt sie bei ihrem Engagement: „Er kommt zwar nicht mit, wenn wir Essen verteilen, aber er hilft mir bei der Organisation und übernimmt den Abwasch. Da kommt schließlich einiges an dreckigen Töpfen zusammen…“, schmunzelt Martina.

Allein könnte sie die körperlich belastende Arbeit auch gar nicht mehr bewältigen. Immerhin ist sie gesundheitlich selbst angeschlagen: Seit einer Rückenoperation fällt ihr längeres Stehen schwer. Eine schlecht verheilte Handverletzung infolge eines Hundebisses machte sie 2014 zur Frührentnerin: „Ich kann nicht mehr schreiben, ein Finger lässt sich gar nicht mehr bewegen“, berichtet Martina, die zuvor in der Kurierdienstfirma ihres Ehemanns als Disponentin gearbeitet hatte.

Umso glücklicher ist sie über die wachsende Unterstützung, die ihre Suppenhühner in jüngster Vergangenheit erfahren. Die Zahl der helfenden Hände wächst, als eingetragener Verein können sie nun auch offiziell Spenden entgegennehmen. Ein lokales Autohaus stellt ihnen für jede Verteilaktion kostenlos einen Lieferwagen zur Verfügung. Gekocht wird mittlerweile in der Küche der Berufsschule und nicht mehr am heimischen Herd. Und der zweite Vorsitzende des Vereins entlastet Martina bei vielen organisatorischen Aufgaben, die Vereinsarbeit unweigerlich mit sich bringt. „In zwei Jahren wollen mein Mann und ich nach Südspanien auswandern“, erzählt sie, „ich bin dankbar für alle Suppenhühner, die mich im Laufe der Zeit begleitet haben – und zuversichtlich, dass sie künftig auch ohne mich weiter bestehen.“

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